Lebhaft und international

Ganz erstaunlich, wie der Kellner das macht. „Si, prego, Signorina!“, flötet er am Tischchen nebenan, an dem die junge Italienerin mit ihrem flachsblonden Sprössling gerade einen Kaffee bestellt hat. Ein paar Schritte weiter ordern zwei Handwerker auf Niederländisch ihr Feierabend-Bier, und am Tisch ganz hinten rechts wird temporeich auf Französisch über dem Stadtplan debattiert.

Die Briten dürfen hier genauso in ihrer Heimatsprache bestellen wie die deutschen Urlauber mit Mops an der Leine. Mit dem Getränk scheint der flinke Kellner sich gleichzeitig die Nationalität zu merken, denn serviert wird bei jedem Gast lässig in der jeweiligen Landessprache.

Ganz schön lebendig und locker – und nicht minder international – geht es in Belgiens schöner Seestadt Antwerpen zu. Die Metropole an der Schelde mit ihren 500.000 Einwohnern vereint die Vorzüge einer weltoffenen Hafen- und Handelsmetropole mit altem Kulturerbe und vielen guten Köpfen in der zeitgenössischen Kunstszene.

Antwerpens große Einkaufsstraße - die Meir © Martina Sörensen
Antwerpens große Einkaufsstraße – die Meir © Martina Sörensen

Mit Gelassenheit shoppen

Dann biegt man in die Meir ein, Antwerpens große Einkaufsstraße. Ja, natürlich tummelt sich da alles an Ketten und Läden, was man auch aus anderen Großstädten kennt. Es schieben sich Menschenmassen durch die Meir wie samt und sonders überall von Berlin bis New York. Und dennoch stutzt man unwillkürlich und denkt: Irgend etwas ist hier vollkommen anders. Da fehlt doch was. Es fehlt diese hektische Atmosphäre, die so oft auftritt, wenn Menschen auf der Jagd nach ihren materiellen Träumen sind. Die Flamen gehen da viel gemächlicher ran, hier gehört Gelassenheit zum Shoppen dazu, es wird weder geschubst noch gerempelt.

Und es herrscht ein gerüttelt Maß an Toleranz. Die Gucci- und Prada-Ladies schauen nicht mit gerümpfter Nase aufs Outfit der kleinen Punkerin, und die coole Studentin der Modeakademie in ihrem ausgefallen geschnittenen Beinkleid belächelt nicht schnöde Jeans- und T-Shirt-Träger. Die unzähligen Radler zwischendrin weichen fröhlich aus, die Autos rollen flott, aber mit Rücksicht, vorbei. Jeder findet hier offenbar seinen Weg, ohne ein verschlossenes oder gestresstes Gesicht zu ziehen. Man hupt auch kaum, ganz erstaunlich für eine Halbe-Million-Einwohner-Stadt. Es wird vielmehr behaglich geplauscht, gelächelt und auch mal ein bisschen neugierig, aber unaufdringlich geschaut. Man trinkt Kaffee, nascht Schokolade und schwelgt im Schaufenstergucken. Ganz Antwerpen scheint irgendwie eine Wohlfühlmeile zu sein.

Modeatelier Maison Anna Heylen @ Martina Sörensen
Modeatelier Maison Anna Heylen @ Martina Sörensen

Heimat bedeutender Modedesigner

Wer in Antwerpen von Kunst spricht, meint damit nicht nur den hier aufgewachsenen Maler Peter Paul Rubens, sondern vor allem die große Zahl bedeutender Modedesigner. Zu verdanken ist das vornehmlich der Talentschmiede an der Modeakademie, die Teil der Königlichen Akademie der Schönen Künste ist. Gemessen an der 350-jährigen Tradition der Einrichtung ist die Modefraktion mit ihren 50 Jahren noch ein relativ junger Zweig – aber dafür einer mit einem ziemlich kometenhaften Aufstieg. In den 80er Jahren machte eine Truppe von Absolventen der Modeakademie mit ihren Kreationen auf der Londoner Fashionweek – und nachfolgend auf allen bedeutenden Laufstegen – international Furore. Die Antwerp Six, namentlich Dries Van Noten, Ann Demeulemeester, Dirk Van Saene, Walter Van Beirendonck, Dirk Bikkembergs und Marina Yee, sind bis heute eine feste Größe in der Modewelt.

Ihnen ist es zu verdanken, dass die Stadt mit einer Fülle an kreativen Designateliers beeindruckt; Walter Van Beirendonck sorgt außerdem als Direktor der Modeakademie für die nächsten Nachwuchstalente. Antwerpen ist nicht mondän wie Paris oder berauschend wie New York – nein, Belgiens Mode-Kapitale bleibt auch auf hohem Niveau ziemlich gelassen. Zum Einkaufen bummelt man etwa vom Grote Markt mit dem Brabobrunnen und den sprachbegabten Kellnern vorbei an den historischen Fassaden der Gildehäuser, an der gotischen Liebfrauenkathedrale, die über all dem Treiben wacht, durch die Amüsiermeile Oude Koornmarkt und an köstlich duftenden Frittenbuden entlang, einer der kulinarischen Schätze Belgiens.

Eine der kulinarischen Schätze Belgiens - die Fritten © Martina Sörensen
Eine der kulinarischen Schätze Belgiens – die Fritten © Martina Sörensen

Haute Couture zu den Marienfesttagen

Und dazwischen, in den Seitengässchen, warten die vielen Schätze für Fashionistas, vom ganz kleinen Designerlabel bis zu unzähligen großen Modemachern. Meist liegen die Ateliers in schönen Altstadthäusern, die mit ihrer Patina kokettieren. Sogar vor ganz alter Heiligkeit macht die allgegenwärtige Mode nicht halt. In der St. Andreas-Kirche steht im linken Seitenschiff stolz die Muttergottes samt Jesuskind im Arm unter den Strahlen des Heiligen Geistes, gekrönt von der Friedenstaube. Soweit alles, wie es sich gehört – ihr Alltagsgewand hingegen ist definitiv der Neuzeit entsprungen: La Madonna trägt Haute Couture, eine edle Interpretation in Schwarz-Weiß mit Federkragen, absolut laufstegtauglich. Die weltbekannte Designerin Ann Demeulemeester, eine der Antwerp Six, hat es Maria auf den Leib geschneidert. Nur zu Marienfesttagen trägt die Staue ihr heiliges Ornat.

Eines ist ziemlich wahrscheinlich: Ein Bummel durch Antwerpen wird nicht ohne verzückte Laute der Fashionistas, Schuhliebhaberinnen und Mode-Experimentalistinnen abgehen – und nicht ohne verzagt-erstickte Seufzer ihrer gequälten männlichen Begleitung, die möglicherweise nicht ganz so shopping-affin ist. Dazu kommt, dass sich an jeder Ecke exquisite kleine und große Chocolatier-Läden finden, die mit ihren schokoladigen Auslagen zum hinterhältigen, erfolgreichen Angriff auf die ohnehin schon ramponierte Selbstbeherrschung blasen – eine Mode-Shoppingpause kann in Antwerpen heißen, den Teufel mit dem Beelzebub austreiben zu wollen.

Schokolade macht schlank: Na gut, nicht immer und unbedingt, aber sie hat ja so viele andere gute Eigenschaften – speziell wenn sie aus Belgien stammt … © Martina Sörensen

Sehenswert

Wer wirklich verschnaufen will, sollte sich in eines von Antwerpens vielen Museen flüchten. Oberster Pflichtprogrammpunkt ist natürlich das Rubens-Haus, die ehemalige Wohn- und Werkstatt von Peter Paul Rubens, in dem sich eine Ausstellung mit Leben und Werk des Meisters beschäftigt. Aber Vorsicht, die Meir mit ihren Shops ist gleich um die Ecke. Also besser doch eine Bootsfahrt auf der Schelde oder ein Besuch im MAS, dem interaktiven Museum am Hafen (nach Rotterdam und Hamburg der drittgrößte Hafen Europas), wo man Spannendes über Antwerpens bewegte Geschichte als Seefahrerstadt erfährt und vom Dach aus eine grandiose Aussicht hat. Allerdings befindet sich am MAS auch der Diamantenpavillon, und da könnte ja der ein oder andere Klunker perfekt zum frisch erstandenen Designerkleid passen …

Prädikat wertvoll Die jungen Damen mit dem Reiseführer in der Hand streben nach dem Besuch im Rubens-Haus zu weiteren Kultur-Highlights der Stadt – es gibt ja genug. @ Martina Sörensen
Prädikat wertvoll Die jungen Damen mit dem Reiseführer in der Hand streben nach dem Besuch im Rubens-Haus zu weiteren Kultur-Highlights der Stadt – es gibt ja genug. @ Martina Sörensen