Morgens gibt es immer diesen Moment, in dem man aufwacht und kurz glaubt, irgendwo in den Alpen zu sein. Die Töne hallen rund und voll, große Glocken an den Hälsen großer Tiere, sie ziehen am Fenster vorbei auf ihrem Weg zur Weide.
Es klingt so wie im letzten Wanderurlaub, aber dann hört man die Stimmen der Hirten und weiß wieder, wo man ist. Und dass das da draußen keine Milchkühe sind, sondern zottelige Yaks.
Text und Fotos: Stefan Nink
Kunstvolle Landschaft
Wenn man jetzt aus dem Bett steigt und hinaus in das unentschlossene Licht des jungen Morgens tritt, dann liegen da keine Tiroler oder Montafoner Berge im Dunst vor der Haustür, sondern die chinesischen Ausläufer des Himalaja. Und ein Land, das wirkt, als sei es über Nacht von einem Künstler gezeichnet worden, mit wenig Farbe und viel Wasser. Den Horizont füllen pastellfarbene Gipfelsilhouetten, Wolken hängen wie Wattebäusche über den Wiesen.
Die tiefe Ruhe der Nacht macht der Stille des Morgens Platz, alles ist unwirklich, alles wirkt unfertig, und wenn die Yaks zweihundert Meter entfernt sind, hat der Morgennebel sie verschluckt. Doch, das stimmt schon: Shangri-la sieht tatsächlich ziemlich exakt aus, wie man sich Shangri-la vorgestellt hat.
Das geheimnisvolle Shangri-La
Achtung: Hier haben wir eines jener seltenen Ziele, an die bis vor kurzem noch niemand reisen konnte – es wusste nämlich niemand, wo es lag. Wie für El Dorado, Xanadu oder andere Sehnsuchtsorte existierten auch für Shangri-la keine Koordinaten; das Land existierte lediglich in der Fantasie. Beziehungsweise als Name für eine Hotelkette und einen Schlager der Flippers (die aus dem Hochgebirgs-Paradies in einem Akt geografischer Kühnheit eine Insel machten). Shangri-la: Das war eine sehnsüchtige Vorstellung. Mehr nicht.
Dabei ist das geheimnisvolle Land bereits 1932 ziemlich genau beschrieben worden. James Hiltons „Hinter dem Horizont“ handelt von vier Europäern, die nach einer Bruchlandung im Himalaja von einem buddhistischen Mönch gerettet und in ein Kloster gebracht werden, dessen Bewohner wie 45jährige aussehen, aber über 300 Jahre alt sind.
Sein Roman basieren auf den Aufzeichnungen eines dieser Europäer, schrieb Hilton, was er allerdings besser verschwiegen hätte. Jetzt nämlich machte sich jeder daran, dieses Shangri-la zu finden, Glücksritter aller Couleur, Heilsuchende, Gralsforscher, sogar die Nazis forschten nach dem Land der ewigen Jugend. Als dann später der Tourismus zu einem entscheidenden Wirtschaftsfaktor wurd, traten Chinas Nachbarn Bhutan, Ladakh und Sikkim auf den Plan und behaupteten, das wahre Shangri-la zu sein. Mitte der Neunziger ließ ein Provinzpolitiker in einem schwer zugänglichen Tal im Nordosten der chinesischen Provinz Yunnan wissen, er sei mit den Figuren aus Hiltons Roman verwandt. Was man im Tal nebenan natürlich nicht gerne hörte. Und im Tal daneben wiederum auch nicht. Plötzlich war Shangri-la überall. In Zhonglian bauten schwerreiche Unternehmer sogar einen Shangri-La-Airport.
Historische Bausubstanz in Lijiang
Am Ende schuf Peking Fakten: Die Regierung schickte Experten. Mit dem Roman, mit Vermessungsgeräten, mit Landkarten. Und mit der Vollmacht, Groß-Shangri-la einzurichten: 50 Bezirke im Grenzgebiet von Yunnan, Sichuan und Tibet – eine landwirtschaftliche geprägte Region voller malerischer Landschaften, in denen etliche ethnische Minoritäten zu Hause sind. Bevor ihre Heimat mittels Regierungsdekret zu einer der großen Sehnsuchtsdestinationen der Menschheit gemacht wurde, waren die Menschen hier unter sich. Jetzt aber kommen die Shangri-la-Touristen, auch mit freundlicher Unterstützung der Unesco. Die hat das Zentrum der Millionenstadt Lijiang zum Weltkulturerbe erklärt. Nicht wegen Shangri-la. Sondern wegen der historischen Bausubstanz.
Von lebhaften Gassen zur zauberhaften Entschleunigung
Während der ersten Stunden in den alten Gassen Lijiangs weiß man nicht so genau, ob man entzückt sein soll von der Aufgeräumtheit, den vielen Menschen in ihren Trachten, den steinernen Brücken und den historischen Straßen, über deren steinaltes Kopfsteinpflaster man bummelt, oder ob einen das hier nicht doch ein wenig zu sehr an einen Themenpark erinnert – als sei dieses Lijiang überhaupt nicht das Original, sondern nur eine jener Kopien, die China ja gerne detailgetreu produziert. Dann aber sitzt man am späten Nachmittag auf einem der Altstadtplätze, blinzelt in die tief stehende Sonne und beobachtet die Frauen, die zum Tanzen zusammenkommen. Zuerst sind es nur zehn oder zwölf, weil ihr Lachen aber ansteckt und die Tanzschritte simpel sind, machen bald immer mehr Menschen mit, bis der ganze Platz im Kreis zu tanzen scheint und die Musik wie eine Wolke über den Dächern bis hinauf zu den Hügeln über der Stadt schwebt.
Nach dem Trubel des Gassenlabyrinths tut es gut, aufs Land hinaus zu fahren, also gewissermaßen hinein nach Shangri-la. Und dann passiert etwas Erstaunliches: Je länger man unterwegs ist in diesem weiten Land, desto mehr bei sich selbst fühlt man sich. Vor allem in den kleinen Dörfern bemerkt man das: Wie man durchatmet, still wird, plötzlich auf Details achtet, auf das Moos auf den Ziegeln und die Furchen im Holz und den Gesang eines Vogels oben in einem Baum. Vielleicht auch deshalb wirkt der Zauber des alten Chinas in seinen kleinen Orten noch immer stark. So stark, dass man sich bei seinen Streifzügen minutenlang fühlt, als habe man sich nicht bloß verlaufen, sondern sei durch ein Zeitloch zurück in eine andere Epoche gefallen.
Ein ganz besonderer Ort
Und manchmal entdeckt man in solchen Orten etwas ganz Besonderes, in Shigu war das so. Das liegt ganz am Rand des Riesenreiches, drei Autostunden von Lijiang entfernt. Dieser Teil Chinas wird von Bergen gerahmt, an klaren Tagen sieht man verschneite Himalajagipfel am Horizont; wenn man auf der Straße weiter geradeaus fahren würde, käme man irgendwann nach Tibet. Shigu liegt eingebettet zwischen den Hügeln, es gibt eine etwas breitere Dorfhauptstraße vom Ortsanfang bis zum Ortsende und außerdem viele steile Gassen. Die Häuser tragen alle die gleichen Schindeldächer, und wenn man den Hügel hinter der Schule hinaufsteigt, sieht es von dort oben fast aus, als verstecke sich ganz Shigu unter einem einzigen Dach.
Berühmt wurde dieses Shigu, weil die Naxi hier einst die mächtigen Tibeter besiegt haben, 1548 war das, und jedes Schulkind kann einem erzählen, was damals geschah. Viel faszinierender aber ist der Blick auf Shigus Hausfluss, den Jangtse. Der nämlich kommt aus dem linken Horizont herausgeflossen, ein langes, gerades Band, dem sich hier, bei Shigu, allerdings ein Berg in den Weg gestellt hat. Wahrscheinlich hat der Jangtse ziemlich lange versucht, sich irgendwie durchzumogeln, mit der Kraft seines Wassers und unendlicher Geduld, aber irgendwann hat er dann doch aufgegeben – und sich einen anderen Weg gesucht. Bei Shigu macht der Jangtse kehrt. Dreht sich um 180 Grad. Fließt anschließend kurz zurück nach Norden, um dann Richtung Osten abzudrehen und dann auf fast 5000 Kilometer Länge das ganze große Land zu bewässern. Ohne diese Kehrtwende bei Shigu, an der Stelle, wo der Fluss auf den Wolkenberg trifft, ohne die wäre China nicht denkbar gewesen. Jedenfalls nicht das China, das wir heute kennen. Ohne diese Kehrtwende sähe die Welt heute anders aus.
Neues entdecken
Über so etwas kann man lange nachdenken auf seiner Reise durch Shangri-la. Irgendwann kommt man dabei dann unweigerlich an den Punkt, an dem einem bewusst wird, wie wenig man eigentlich von diesem Land weiß. Und wie wenig man versteht, und an wie vielen solcher Orte und Stellen man vorbeiläuft oder -fährt, ohne auch nur zu ahnen, welche Geschichten sie erzählen könnten. Erstaunlicherweise fühlt man sich in solchen Momenten aber überhaupt nicht hilflos. Eher hellwach und neugierig und offen für alles. In diesen Momenten scheint es, als hätten Shangri-la und China nur darauf gewartet, dass man sie entdecken und erforschen und am liebsten auch umarmen möchte. Jetzt. Jetzt gleich. Sofort. Dass man schon zehn Minuten später wieder absolut verständnislos vor der Speisekarte eines Teehauses sitzen wird: Das ist in diesem Augenblick völlig egal.
Die Teehausbesitzerin bringt eine neue Schale. Sie lächelt. Der Tee dampft und beschlägt die Brillengläser, und für kurze Zeit kann man China nicht mehr sehen, sondern nur noch hören. Das Klackern der Mahjong-Steine vom Nebentisch, an dem die Alten spielen. Den Gesang ihrer Vögel, deren Käfige sie in die Bäume gehängt haben. Das Zischen der Teekessel. Das leise Knistern, wenn die Teehausbesitzerin die Schälchen mit den Wassermelonenkernen und Nüssen auf den Tischen nachfüllt. Und dann, später, am Ende des Tages, wenn die Ruhe des Tages allmählich in die tiefe Stille der Nacht übergeht, die Glocken der Yaks, die von den pastellenen Weiden zurück kehren.
INFORMATIONEN
Beim Spezialveranstalter Art of Travel (Tel.: 089 211076-0) können Aufenthalte in Lijiang und Ringha mit unterschiedlichen Routen und Orten in China kombiniert werden (auch mit einem Zwischenstopp in Shigu, an der Kehre des Jangtse).
Zum Portfolio gehört beispielsweise das Banyan Tree Lijiang das die Architektur der zum Unesco-Weltkulturerbe gehörenden Altstadt fortführt.
Die gleiche Hotelgruppe betreibt mit dem Banyan Tree Ringha ein
weiteres Hotel-Highlight – eine Fahrt in die entlegene Gebirgsregion lohnt sich allein wegen dieser Unterkunft.
Anreise nach China
Peking und Shanghai werden teils mehrmals täglich von Frankfurt a. M., München, Wien und Zürich aus nonstop angeflogen.
Weitere Direktrouten:
Berlin – Peking, Frankfurt – Nanjing und Frankfurt – Shenyang (über Shanghai); ferner wird aus Zürich auch Shanghai direkt angeflogen. Chengdu ist ab Amsterdam direkt erreichbar. Von Norddeutschland aus bieten Flüge über Kopenhagen oder Helsinki Zeitersparnis. Für Südchina ist Hongkong eine gute Drehscheibe. Einmal China und zurück ist teils schon für unter 700 Euro realisierbar. Flugzeiten: je nach Strecke nonstop 9 bis 11 Stunden; Hongkong ist 12 Stunden entfernt
Einreise und Visum
Für die Einreise in die Volksrepublik China ist ein Visum erforderlich, das zwingend vor der Reise bei der zuständigen chinesischen Auslandsvertretung bzw. bei einem der „Visa Application Service Center“ (www.visaforchina.org) eingeholt werden muss. Am Flughafen in Peking werden für Personen, die kein gültiges Einreisevisum für China besitzen, grundsätzlich keine Visa ausgestellt. Personen ohne gültiges Visum wird regelmäßig die Einreise verweigert, teilweise ist ein Ausweichen über Hongkong möglich.
Währung
In China gilt das „Volksgeld“ Renminbi (RMB). Sein Außenwert ist an einen Währungskorb gekoppelt und hängt vor allem vom Dollar ab; wird also der Euro gegenüber dem Dollar stärker, reisen Bürger des Euroraums in China preiswerter. Die Einheiten des RMB sind: 1 Yuan (CNY) = 10 Jiao = 100 Fen. Im Alltag wird der Jiao fast immer Mao genannt (frei übersetzt: „Groschen“). Jiao-Beträge kommen nur noch selten vor, Fen-Beträge gar nicht mehr.
1 Euro entspricht z.Zt. ca. 7,96 Yuan.
Heute finden sich in allen Städten sowie in vielen Hotels internationale Geldautomaten, aus denen man mit einer Debitkarte (z. B. Maestro) Geld ziehen kann. Für den Fall, dass die verloren geht (oder der Automat nicht funktioniert), sollte man auch Eurobargeld dabei haben (wird in den meisten Hotels getauscht) sowie zur Sicherheit eine zweite Debitkarte und eventuell Reiseschecks, zu deren Einwechslung man jedoch oft die örtliche Filiale der Bank of China aufsuchen muss. Die in Europa verbreiteten Kreditkarten werden auch in den besseren chinesischen Hotels akzeptiert. Beim Geldwechsel muss der Reisepass vorgezeigt werden. Wichtig: Falls Sie bei Ihrer Ausreise aus China Geld zurücktauschen wollen, müssen Sie eine Umtauschquittung über mindestens denselben Betrag vorlegen.
Vertretungen in China
Deutsche Botschaft
Dongzhimenwai Dajie 17
Chaoyang Qu
Peking
Tel. 010 85 32 90 00
www.peking.diplo.de
Österreichische Botschaft
Jianguomenwai
Xiushui Nanjie 5
Peking
Tel. 010 65 32 20 61
www.bmeia.gv.at
Schweizer Botschaft
Sanlitun Dongwu Jie 3
Peking
Tel. 010 85 32 88 88
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