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Das burgundische Erbe Flanderns
Zum Charme der flandrischen Städte trägt das Erbe der Burgunder-Herzöge bis heute ganz wesentlich bei: Über Blütezeit und Ruin einer prägenden Dynastie – und eine spannende Ausstellung im frisch restaurierten Gruuthuse-Palast in Brügge
Gute Weine, Dijonsenf und prächtige Schlösser – dafür ist die französische Region Burgund bekannt. Aber was hat das alles mit Flandern zu tun? Es ist eine spannende Geschichte aus der Kategorie „Es war einmal …“, die beide Landstriche verbindet: Im 15. Jahrhundert gehörte Flandern als Teil der Burgundischen Niederlande zum Herzogtum Burgund, das zwischen den Grenzen des Königreichs Frankreich und denen des Heiligen Römischen Reichs lag. Von der Nordsee bis in die Nähe von Lyon hatten die vom französischen Königshaus Valois abstammenden Burgunder-Herzöge das Sagen.
Der reisende Hofstaat
Die burgundischen Herzöge hielten mal hier, mal da Hof: Brüssel, Brügge, Gent, Mechelen, Leuven, Antwerpen – der bis zu 600 Personen umfassende Hofstaat war fast ständig unterwegs. Flandern blühte auf, wirtschaftlich wie kulturell, denn mit den Regenten und ihrem Gefolge kamen nicht nur Schöngeister, es floss auch Geld in die Städte. Denn das saß locker beim Herzog und seinen Höflingen. Man lebte auf großem Fuß, ging tagsüber Unterhaltungen wie Jagd- und Reitausflügen nach, gab sich abends kulturellen Genüssen wie Bällen, Banketten und Theateraufführungen hin.
Ein rauschendes Fest
Kunst und Mode, Schmuck und Möbel – hochwertige Handwerksarbeiten warenbegehrt. Was für die Kunstschaffenden ein Segen war, wurde den Herzögen mit der Zeit zum Verhängnis: Denn um ihren mondänen Lebensstil zu finanzieren, erhoben sie immer höhere Steuern. Dies führte zu Aufständen innerhalb der Bevölkerung. Die zu ihrer Niederschlagung angeheuerten Ritter kosteten Geld. Weil man zusätzlich den einen oder anderen kleinen Krieg anzettelte, sich in Ränkespielen und Erbstreitereien erging, zerrann den Burgundern ihr gewaltiges Vermögen zwischen den Fingern. Rund 150 Jahre währte ihre Herrschaft, das rauschende Fest endete im finanziellen und politischen Ruin. Maria von Burgund, Tochter Karl des Kühnen, des letzten Herzogs von Valois, heiratete im Jahr 1477 schließlich Maximilian I. – damit wurden die Habsburger die neuen Herren von Burgund.
Bauten von Weltrang
Dennoch war die burgundische Ära eine der prägendsten in der Geschichte Flanderns. Ein regelrechter Bauboom verwandelte die flämischen Städte und gab ihnen ihr heutiges Gesicht. Viele der damals errichteten Prachtbauten sind erhalten geblieben – etwa der frisch renovierte Gruuthuse-Palast in Brügge. Im 15. Jahrhundert ließ Lodewijk van Brugge, auch Ludwig van Gruuthuse genannt, das bis dahin als Speicher genutzte Gebäude in einen Stadtpalast umwandeln. Ludwig war ein mächtiger Mann und ein Vertrauter der Herzöge von Burgund, zudem Kunstmäzen und Büchersammler. Sein Vermögen gründet auf dem Handel mit Grut, einer zum Bierbrauen verwendeten Gewürzmischung. Ende des 19. Jahrhunderts erwarb die Stadt den Gruuthuse-Palast und ließ ihn im damals angesagten neugotischen Stil umgestalten. Seither beherbergte der Prachtbau ein Museum.
Eine spannende Ausstellung
In einer aufwendigen, fünfjährigen Restaurierung wurde das Gebäude in den vergangenen Jahren von Grund auf saniert, nun wird der Palast wieder eröffnet. Das Museum erzählt drei wichtige Epochen der Brügger Geschichte: die Blütezeit unter der burgundischen Herrschaft, das fast vergessene 17. und 18. Jahrhundert sowie den anschließenden Wiederaufstieg der Stadt im 19. Jahrhundert. Auf drei Etagen wird die spannende Geschichte von Brügge mit rund 600 Exponate erfahrbar gemacht – mit Wandteppichen und Spitze, Silber- und Goldschmiedearbeiten, Möbeln, Holzschnitzereien und Keramik. Alltagsgegenstände und persönliche Lebensgeschichten machen die Vergangenheit zusätzlich lebendig.
Kulturschätze
Auch die anderen Städte Flandern glänzen bis heute mit alter Bausubstanz, wertvollen Kunst- und Kulturschätzen: Unter der burgundischen Herrschaft wurde Brügge zum europäischen Wirtschaftszentrum, die Hafenstadt Antwerpen reich durch den Handel mit Gewürzen und anderen Luxusgütern. In Gent brachten Schneider und Kupferschmiede ihr Handwerk zur Blüte, und hier schufen auch die Brüder van Eyck mit dem berühmten Genter Altar ihr Meisterstück.
In Brüssel entstand eine der größten Bibliotheken ihrer Zeit – die heutige Königliche Bibliothek –, während in Leuven eine Universität gegründet wurde, die heute zu den ältesten der Welt zählt.
Eine herausragende Stellung kam Mechelen zu: Die hier angesiedelte Gerichtsbarkeit zog Entscheider und einflussreiche Denker an. Von der einstigen Macht und Bedeutung der Stadt erzählt das Museum im Hof van Busleyden, einem imposanten Renaissance-Palast.
Meisterwerke
Bei Kunsthandwerkern wie Goldschmieden, Schneidern und Schnitzkünstlern herrschte Hochkonjunktur. Die beständige Nachfrage sorgte nicht nur für ein sicheres Auskommen, sondern auch für eine enorme Produktivität und kreative Freiheit. Jan van Eyck, der als Hofmaler tätig war, aber auch Hans Memling und Dirk Bouts schufen damals wahre Meisterwerke. Philosophen wie Erasmus von Rotterdam und Thomas More legten ihre Werke vor, der Kartograph Gerardus Mercator seine berühmte Weltkarte und seinen ersten Globus, während Rembert Dodoens sich seinen bahnbrechenden botanischen Studien widmen konnte. Neue Gewürze und die Freude an opulenten Festmahlzeiten belebten auch die Esskultur. Bis heute sind die Flamen übrigens Genießer. Es gibt dort auf die Fläche gerechnet mehr Sternerestaurants als sonst irgendwo, unglaubliche 1500 Biersorten sprechen für sich.
Das gute Ende der Geschichte
Vom Geld der Burgunder-Herzöge blieb kaum etwas übrig, ihre Verschwendungssucht ist Geschichte. Aber das einzigartige Erbe jener Epoche bereichert Flanderns Städte bis heute und bezaubert Kulturreisende aus aller Welt: Denn damals entstanden künstlerische, handwerkliche und architektonische Werke von unschätzbarem Wert.
Im Video gibt’s einen kleinen Vorgeschmack auf die burgundischen Kultur-Highlights in Flandern.