[vc_row][vc_column][vc_column_text]Wales liegt an der rauen Westkante Großbritanniens, und es gibt hier Orte mit Namen wie Llanfairpwllgwyngyllgogerychwyrndrobwllllantysiliogogogoch. Auch sonst ist in dieser einsamen Region vieles ganz anders, etwa so, als sei die Zeit stehengeblieben – wobei sich Kneipengespräche auch schon mal um Roboter drehen können
Text und Fotos: Stefan Nink[/vc_column_text][vc_empty_space][/vc_column][/vc_row][vc_row][vc_column width=“1/2″][vc_column_text]Am letzten Abend saßen wir im Pub und unterhielten uns über Roboter. Das mag jetzt seltsam klingen und nicht so, wie Wales-Geschichten üblicherweise beginnen (normalerweise ist immer gleich von Weiden und Schafen die Rede, von alten Bauernhäusern, dem Regen oder diesem elenden Langweiler Bruce Chatwin, der über walisische Weiden, Schafe, Bauernhäuser und den Regen geschrieben hat), aber so war es nun mal. Nachdem wir Fußball, Brexit und Flüchtlingskrise durchgekaut hatten, waren wir nun eben bei den Robotern angelangt, manchmal drehen Unterhaltungen ja solche Pirouetten.
Duncan hinterm Tresen behauptete, künstliche Intelligenz sei die Rettung der Menschheit, die sich die eigene längst weggesoffen habe. Die anderen verneinten das natürlich. Conner erzählte, er habe seiner Frau die Anschaffung eines Staubsaugerroboters verboten, im Plenarsaal der Nationalversammlung sollten sie die ruhig einsetzen, ihm komme sowas nicht ins Haus. Fynn erzählte von einem Laden am Airport in Cardiff, in dem man nur noch an Maschinen bezahlen könne.
Cedric wiederum sagte überhaupt nichts, er nahm bloß hin und wieder einen Schluck Ale und schüttelte den Kopf. Irgendwann leerten wir die Gläser und traten vor die Tür.[/vc_column_text][vc_empty_space][/vc_column][vc_column width=“1/2″][vc_single_image image=“5394″ img_size=“full“ add_caption=“yes“][vc_empty_space][vc_single_image image=“5393″ img_size=“full“ add_caption=“yes“][vc_empty_space][/vc_column][/vc_row][vc_row][vc_column][vc_column_text]Die Sonne hatte sich zwischen den Wolken durchgemogelt und ein Laken aus Licht über das Land gelegt. Die Weiden mit den Schafen zogen sich über die Hügel Richtung Horizont, zwischendrin hockten alte Bauernhäuser, als seien sie ohne menschliche Hilfe der walisischen Erde entsprungen. Im Westen hatte es geregnet, jetzt spannte sich dort ein Regenbogen wie ein Baldachin über einen Hain aus Eschen. Irgendwo rief ein Käuzchen die Dämmerung herbei.
So war das am letzten Abend, und eigentlich war es auch in den Tagen davor nicht anders. Wann immer wir glaubten, in die Gegenwart zurückgerutscht zu sein, in dieses, in unser Jahr 2016 mit seinen Krisen und Fußballspielen, immer dann machte irgendwer eine Tür auf, und – schwupp: standen wir vor einer jener pastoralen Landschaften, die aussahen wie die auf Bildern aus dem frühen 19. Jahrhundert.
Es sprudelten die Bäche, es raschelte der Wind in den Bäumen, es blökten die Schafe, und eigentlich fehlte bloß noch, dass ein Edelmann hoch zu Ross zwischen den Hecken hervor geritten wäre. Jedes Mal unterschied sich das Bild dieses tiefen Friedens so vehement von der eben noch diskutierten Welt, dass wir einen Moment lang wie benommen waren. [/vc_column_text][vc_empty_space][/vc_column][/vc_row][vc_row][vc_column width=“1/2″][vc_single_image image=“5396″ img_size=“full“ add_caption=“yes“][vc_empty_space][/vc_column][vc_column width=“1/2″][vc_column_text]
Wales kann das. Wales ist so.
Wales sieht in vielen, sehr vielen Regionen immer noch so aus wie vor hundert oder zweihundert Jahren. Man kann hier halbstundenlang auf engen, heckengesäumten Straßen unterwegs sein und dabei an keinem Haus vorbei kommen, das jünger als 150 Jahre alt ist. Und zwischen diesen weit auseinander stehenden Steinhäusern passiert man Burgen, Kirchen und Abteien, die aussehen, als seien ihre normannischen Eroberer erst vorletzte Woche abgezogen. Und nur, weil einem statt behelmter Reiter ein Hausbesitzer im Jaguar-Coupé entgegen kommt und der SMS-Eingangston signalisiert, dass man soeben wieder aus dem Funkloch herausgefunden hat – eigentlich nur deshalb fühlt man sich dann ganz plötzlich zurück im Hier und Jetzt. [/vc_column_text][vc_empty_space][/vc_column][/vc_row][vc_row][vc_column][vc_single_image image=“5385″ img_size=“full“ add_caption=“yes“][vc_empty_space][/vc_column][/vc_row][vc_row][vc_column width=“1/2″][vc_column_text]
Wissen Sie eigentlich, wo Wales liegt?
Im Westen von England, richtig. Dort, wo anschließend zuerst kurz das Meer kommt und dann Irland und dann ein paar tausend Kilometer nichts mehr. Wales ist Teil des Vereinigten Königreichs und – Dank einer komplizierten konstitutionellen Regelung – dennoch ein eigenes Land. Seine Bewohner stammen von jenen Kelten ab, die einst von den normannischen Eroberern an den Rand der Insel vertrieben wurden. Sie selbst nennen sich Cymry, in ihrer Sprache, dem Kymrisch, dessen inflationäres Konsonantenaufkommen für viel Spott und noch mehr angeblich lustige Postkarten herhalten muss („Grüße aus Llanfairpwllgwyngyllgogerychwyrndrobwllllantysiliogogogoch! Wenn Ihr das noch aussprechen könnt, habt Ihr nicht genug walisischen Whisky intus!“). Kymrisch klingt, als hätten die Elben in Tolkiens Lothlórien es erschaffen; aus dem Mund von jemandem wie Cate Blanchett geflüstert würde es wahrscheinlich Steine zum Erweichen bringen. Und wo wir gerade dabei sind: Wales‘ Burgen erinnern frappant an die Festen aus „Game of Thrones“. Dass überall Fahnen mit einem roten Drachen im Wind wehen, passt da ganz wunderbar.
Wales ist ein kleines Land, gut 20.000 Quadratkilometer bloß, das ist gerade mal so groß wie Hessen und knapp ein Drittel Bayerns. Dass es viel größer wirkt, hat vor allem mit den fehlenden Ebenen zu tun: Wahrscheinlich existiert kein Quadratkilometer Wales ohne Auf und Ab und Berg und Tal und keine Straße, die länger als hundert Meter geradeaus führt, bevor sie sich in die nächste Kurve legt. All das führt zu ständig wechselnden An- und Aussichten und verführt zum permanenten Anhalten. Und Aussteigen. Und Herumlaufen. Und Fotografieren. Anders gesagt: Wenn man in Wales eine Strecke von dreißig Meilen vor sich hat, plant man besser mal zwei oder drei Stunden ein. Und noch länger, wenn man dazu neigt, den schmalen Pfaden zu folgen, die einen in diesem Land gerne zu verwunschenen Ruinen führen. Oder zu einem Aussichtspunkt, von dem man dann wieder ein anderes Stück Wales entdeckt, das man sich auch noch schnell anschauen könnte.[/vc_column_text][vc_empty_space][/vc_column][vc_column width=“1/2″][vc_single_image image=“5390″ img_size=“full“ add_caption=“yes“][vc_empty_space][vc_single_image image=“5395″ img_size=“full“ add_caption=“yes“][vc_empty_space][vc_single_image image=“5391″ img_size=“full“ add_caption=“yes“][/vc_column][/vc_row][vc_row][vc_column][vc_column_text]Sowieso ist es eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, dass Wales nicht längst zu den angesagten Destinationen Europas gehört und alle immer nach Irland fahren. Wie kann man sich denn nicht bereits in der allerersten Reisesekunde in dieses bezaubernde Patchwork aus Wäldern und Wiesen verlieben? Wie kann man nicht hingerissen sein von dieser 1200 Kilometer langen Küste, an deren Steilklippen unten die Wellen nagen und oben die Möwen munter ihre Achten in den Himmel malen? Und dann die Strände erst! Und die Gärten und die dreihundertjährigen Pubs, und die Spazierwege an den Ufern der Flüsschen Wye oder Usk? Dass Städtchen wie Tenby oder Aberaeron mit ihren smartiesbunten Häusern am Wasser aussehen, als gehörten sie eigentlich an die Cinque Terre – nimmt man dann schon fast als völlig normal hin. Ach, Wales – warum lässt man dich so links liegen? [/vc_column_text][vc_empty_space][/vc_column][/vc_row][vc_row][vc_column width=“1/2″][vc_single_image image=“5387″ img_size=“full“ add_caption=“yes“][vc_empty_space][vc_single_image image=“5397″ img_size=“full“ add_caption=“yes“][vc_empty_space][/vc_column][vc_column width=“1/2″][vc_column_text]
„Vielleicht wegen des …“ Lesley sieht kurz so aus, als sage sie besser nicht, was sie gerade sagen will, aber vielleicht sucht sie auch bloß nach dem richtigen Wort: Der Waliser kennt für Regen nämlich siebzehn verschiedene. Was natürlich seine Gründe hat. Es regnet hier nämlich gerne mal, und manchmal regnet es auch länger, und es gibt sogar einen Ort, an dem es im vergangenen Herbst drei Monate am Stück geregnet hat, Eglwyswrw heißt der, und wahrscheinlich fahren demnächst alle dorthin, um sich den Dauerregen anzusehen. Weil die Menschen in diesem Teil Großbritanniens sozusagen mit dem Regen groß geworden sind, haben sie sich im Laufe der Zeit all die unterschiedlichen Worte einfallen lassen. Ein paar Tropfen Regen heißen hier brasfrwrw, einen kurzen Schauer nennt man sgrympian, ein lluwchlaw ist ein Regen, der in Schüben übers Land zieht und tywallt sagt man, wenn es schüttet. Ganz normalen Regen gibt es erstaunlicherweise auch. Der heißt dann bwrw.
Und Lesley? Heißt mit Nachnamen Arrowsmith und lief in Hay-on-Wye mit einem schwankenden Stapel Bücher im Arm über die Straße. Wir halfen dann beim Aufsammeln und erfuhren, dass dieses Hay-on-Wye eine sogenannte book town ist: Ein Ort, in dem sich alles um Literatur und Lesen dreht. Fast vierzig Second-Hand-Buchhandlungen und Antiquariate gibt es in dem 1800-Einwohner-Örtchen; alles in allem warten in Regalen und Kisten um die zehn Millionen Bücher auf Leser. Zehn Millionen! Da muss man sich nicht wundern, dass nirgendwo mehr Platz ist und man sogar das alte Kino zur Buchhandlung umgebaut hat. Über 250.000 Bände stehen da jetzt in den Regalen, und das Ganze ist derart verwinkelt und labyrinthisch, dass Lesley und ihre Kolleginnen abends das Licht Raum für Raum ausschalten, damit keine Kunden verloren gehen. Weil der Platz in den Bücherläden dennoch nicht ausreicht, stehen im Hof der alten Burg die Regale sogar im Freien. Wer dort fündig wird, wirft einfach ein paar Münzen in eine Kasse und rettet so ein Buch vor Wind und Wetter.
[/vc_column_text][vc_empty_space][/vc_column][/vc_row][vc_row][vc_column][vc_column_text]Doch, es wird noch viel gelesen in Wales, und wo viel gelesen wird, wird natürlich auch viel erzählt: Wahrscheinlich gibt es in Europa kein Land, dessen Orte und Landschaften derart von Sagen und Legenden durchwirkt sind wie die walisischen. Es geht um Treue und Verrat, um List und Liebe, und natürlich um den ewigen Kampf zwischen Gut und Böse. Oft spielen auch Tiere eine Rolle. Schon die Kelten betrachteten die als Verbündete in ihrem Kampf gegen die Unterdrücker, deshalb wimmelt es in den alten Geschichten von weisen Eulen und wahrsagenden Krähen und grimmen Drachen. Dass in vielen Geschichten die walisischen Berge das Setting bilden (auch die flachsten nennt man hier niemals Hügel, niemals!), hat ebenfalls historische Gründe: In den Cambrian Mountains oder den Brecon Beacons suchte das Volk Zuflucht vor Eindringlingen. Und während die seelenverwandten Iren in Zeiten der Not gerne den Himmel nach Rettung absuchten, haben die Waliser immer zu den Bergen geschaut: Aus deren Höhlen sollen dereinst die Helden auftauchen, um Wales zu retten vor Eindringlingen und Eroberern und allem anderen Ungemach. [/vc_column_text][vc_empty_space][/vc_column][/vc_row][vc_row][vc_column width=“1/2″][vc_single_image image=“5386″ img_size=“full“ add_caption=“yes“][vc_empty_space][vc_single_image image=“5398″ img_size=“full“ add_caption=“yes“][vc_empty_space][/vc_column][vc_column width=“1/2″][vc_column_text]Sehen sie? Schon sind wir wieder in dieses walisische Paralleluniversum abgerutscht, so schnell geht das. Am besten geht man jetzt ins nächste Wirtshaus, zu Duncan, Conner, Cedric und Fynn, die man natürlich in jedem Pub des Landes treffen kann. Ihre Vornamen klingen zwar, als hätten sie bereits 1544 dort am Tresen gesessen – man kann sich mit ihnen aber auch ziemlich gut über die aktuellen Krisen und Fußball unterhalten. Über Roboter auch. [/vc_column_text][/vc_column][/vc_row]