Manchmal kommt der Nebel ganz plötzlich, von einem Meter auf den anderen, dann verbünden sich die tief hängenden Wolken mit der Gischt und dem Wind und dem Regen, als wollten sie diesem goldenen Oktobertag da draußen mal zeigen, was sie zusammen so alles draufhaben. In solchen Momenten verschwindet ganz Island in einer Art undurchsichtiger Watte, von jetzt auf gleich. Gerade eben noch war die Welt sonnig und die Sicht klar, nun aber fährt man im Nichts, obwohl die Scheibenwischer schaufeln und die Scheinwerfer versuchen, kleine Lichtkorridore in das Weiß zu fräsen: Ganz ähnlich müssen sich die Wikinger damals gefühlt haben, als sie Angst hatten, über den Rand der Weltenscheibe zu segeln. Und natürlich muss die Straße genau jetzt einen Schlenker machen. Na klar muss sie das!
[vc_row][vc_column width=“1/2″][vc_column_text]Kilometerlang ging es kerzengeradeaus – jetzt aber dreht die Straße ab nach rechts, um einem Felsbrocken auszuweichen. Und unmittelbar hinter dem Fels geht’s wieder nach links, zurück in die alte Spur, was eine zweite hektische Lenkradkorrektur zur Folge hat, einen verschütteten Kaffee und beinahe einen verschrammten Mietwagen. Und dann? Ist der Nebel weg und Island wieder da. Als sei nichts gewesen. Als habe man das gerade eben bloß geträumt.[/vc_column_text][/vc_column][vc_column width=“1/2″][vc_single_image image=“5269″ img_size=“full“ add_caption=“yes“][vc_empty_space][/vc_column][/vc_row][vc_row][vc_column width=“1/2″][vc_single_image image=“5264″ img_size=“full“ add_caption=“yes“ onclick=“link_image“][vc_empty_space][vc_single_image image=“5266″ img_size=“full“ add_caption=“yes“ onclick=“link_image“][vc_empty_space][vc_single_image image=“5255″ img_size=“full“ add_caption=“yes“ onclick=“link_image“][vc_empty_space][/vc_column][vc_column width=“1/2″][vc_column_text]„Warum sie den nicht gesprengt haben? Den Fels?? Den oben an der Straße???“ Gunnar Johannson reagiert zehn Minuten später so, als habe man ihn da soeben etwas ganz, ganz Schlimmes gefragt. Ob man mit seinen beiden sechzehnjährigen blonden Zwillingstöchtern nachts mal um die Blöcke ziehen dürfe, zum Beispiel. Oder in seinem Hotelgarten ein Rockkonzert organisieren. „Auf gar keinen Fall hätte man den wegsprengen können! Unmöglich!“ Er hat den Schlüssel schon in der Hand, rückt ihn aber nicht heraus – als wisse er nicht genau, ob er einem solchen Gast überhaupt ein Zimmer vermieten könne. Das da oben an der Straße sei ein Elfenstein, sagt er. „Den darf man nicht so einfach aus dem Weg schaffen – das bringt Unglück! Deswegen hat man die Straße um ihn herum geführt. Fahren Sie beim nächsten Mal halt langsamer!“
Willkommen auf Island also. Willkommen auf einer Insel, auf der man noch immer ächzt unter dem Joch des Bankenbankrotts, gleichzeitig aber gerne mal flott ein paar hunderttausend Euro für einen Schlenker in der Landstraße ausgibt, um ja die Elfen nicht zu erschrecken, die dort zuhause sind. Willkommen auf einer Insel, auf der sich die Menschen abends in heißen Quellen alte Sagen unterm Sternenhimmel erzählen und Bands wie Sigur Ros eine avantgardistische Sphärenmusik spielen, die selbst in Tokios Clubs der letzte Schrei ist. Vor allem aber willkommen auf einer Insel, die einen vom ersten Urlaubstag an derart zudonnert mit „Mach doch mal schnell ein Foto davon“-Landschaften, dass man all das gar nicht wirklich verarbeiten kann: die krachenden Wasserfälle und die staubigen Pisten, die senkrecht abfallenden Klippen und die stillen Fjorde, die kalbenden Gletscher und die fauchenden Geysire und die düster am Horizont hockenden Vulkane. Willkommen in einem Land, das den Menschen klein werden lässt, ganz klein und ehrfürchtig. Oder, um es mit einer gerade ziemlich populären Buchreihe zu sagen: Willkommen auf einer Insel wie aus einem „Lied von Feuer und Eis“.[/vc_column_text][/vc_column][/vc_row][vc_row][vc_column][vc_column_text]In ganz Europa gibt es keine Region, die es an Naturspektakeln mit diesem kleinen Stück Land da oben im Norden des Atlantiks aufnehmen könnte. Man muss an einem ganz normalen Morgen nur ein paar Kilometer hinausfahren aus der Hutzelputzelhauptstadt Reykjavik, um das Gefühl zu haben, noch niemals in einer solchen Landschaft gewesen zu sein: Aus Wohnhäusern werden Farmen werden Scheunen wird Menschenleere, aus breiten Straßen werden kurvige Wege werden geschotterte Pisten, und wenn man dann aussteigt aus seinem Mietwagen, steht man in einem Land, dem man bis heute all das ansieht, was tektonische Verschiebungen, Eiszeitgletscher und Vulkane in den letzten Jahrmillionen mit ihm angestellt haben. Man steht also da, schaut auf Ebenen hinaus, in Täler hinein oder von Bergen hinunter, schaut und schaut und ist sich sicher, dass man eigentlich große Teile seiner Reise genau so verbringen könnte, mit diesen Panoramen und dieser allgegenwärtigen Stille, die nur vom aufheulenden Wind oder dem Zetern einer Möwe unterbrochen wird. Beziehungsweise: von einem leisen Grummeln in der Ferne.[/vc_column_text][vc_empty_space][/vc_column][/vc_row][vc_row][vc_column width=“1/2″][vc_column_text]Das hört man auf Island immer wieder. Stammt von einem der vielen Wasserfälle; von weitem hören die sich an wie unentwegtes Donnergrollen irgendwo hinterm Horizont. Kommt man näher, ist bei den meisten Fällen eine Verständigung nur noch schreiend möglich, so laut krachen die Wassermassen in die Tiefe. In diesem Fall ist es der Gullfoss, ein zweiteiliger Katarakt, der alles, was in den Alpen oder anderswo in Europa mit 1017 Hinweisschildern ausgewiesen wäre, zum kümmerlichen Rinnsal degradiert.
Dass der Gullfoss einem den Atem verschlägt, hat allerdings auch mit den Böen zu tun, die seine Besucher auch noch in hundert Metern Entfernung mit feinen, eiskalten Wassertröpfchenschwaden überziehen. Plötzlich versteht man, warum auf dieser Insel jeder Souvenirladen und jede Tankstelle Regenjacken verkauft. Beliebter als winddichte Regenjacken sind nur noch die T-Shirts, die man unter ihnen trägt und die es ebenfalls überall gibt. Auf denen stehen Sprüche wie „ég tala ekki islensku“, was so viel heißt wie: „Ich spreche kein Isländisch“ (zumindest vermutet man das, weil man selbst ja kein Isländisch spricht). Oder, noch besser: „Eyjafjallajökull“ – soo einfach zu betonen: AY-uh-fyat-luh-YOE-kuull-uh.[/vc_column_text][vc_empty_space][/vc_column][vc_column width=“1/2″][vc_single_image image=“5265″ img_size=“full“ add_caption=“yes“ onclick=“link_image“][vc_empty_space][vc_single_image image=“5251″ img_size=“full“ add_caption=“yes“ onclick=“link_image“][vc_empty_space][/vc_column][/vc_row][vc_row][vc_column width=“1/2″][vc_single_image image=“5253″ img_size=“full“ add_caption=“yes“ onclick=“link_image“][vc_empty_space][vc_single_image image=“5260″ img_size=“full“ add_caption=“yes“ onclick=“link_image“][vc_empty_space][/vc_column][vc_column width=“1/2″][vc_column_text]Über den müssen wir natürlich auch noch reden. Wochenlang hat der Vulkan mit dem Zungenbrechernamen vor gut zwei Jahren die Welt in Atem gehalten, und dann ist man auf Island – und findet ihn nicht. Einfach auf die Asche achten, hatte Gunnar Johannson empfohlen. Leider liegt die hier überall herum. Beziehungsweise das, was ein Vulkan sonst noch so alles in die Luft schleudert, wenn er Schluckauf hat. Auf dieser Insel gibt es dreißig aktive Vulkane, da ist schon ein bisschen was heraus gekommen mit der Zeit. Kurz vor dem Eyjafjallajökull zum Beispiel führt die Straße durch weite Ebenen, die aus nichts anderem bestehen als aus dunklem Kies und Geröll, das beim letzten Ausbruch des Grímsvötn unten am Meer ankam. Die Gegend sieht aus wie die Rückseite des Mondes, auf der sich ein Abrisskommando Bulldozer ein paar Monate lang austoben durfte. Also irgendwie typisch isländisch.
Und der Eyjafjallajökull sieht wie ein typischer Vul… – nee, eben nicht. Er sieht überhaupt nicht wie ein Vulkan aus. Noch nicht einmal wie ein richtiger Berg. Eher wie ein Riesenklumpen Stein, der nicht fertig geworden ist, damals, als sie Island gemacht haben. Und dieses Teil soll die ganze Welt in Atem gehalten haben? Doch, doch, das sei er, sagt ein Mann, der ein paar Meter weiter einen Weidezaun repariert. Das da? Wirklich? Ja, sagt der Mann, das ist der Eyjafjallajökull. Es klingt, als würde er Ejflljküück sagen, oder Ellfttljkökk, jedenfalls nicht Ey-ja-fjal-la-jö-kull. Und auch nicht „AY-uh-fyat-luh-YOE-kuull-uh“, an den T-Shirt-Aufdrucken müsste man auch noch mal arbeiten. Der Mann hantiert weiter an seinem Zaun und pfeift eine beschwingte Melodie. Der Vulkan in seinem Rücken scheint ihn nicht besonders zu interessieren.[/vc_column_text][vc_empty_space][/vc_column][/vc_row][vc_row][vc_column width=“1/2″][vc_column_text]So etwas passiert einem immer wieder auf einer Reise durch dieses Land. Die Isländer haben ein sehr, nun ja: lässiges Verhältnis zu ihrer explosiven Heimat – sie haben sich einfach daran gewöhnt, dass ihnen Teile ihrer Insel in regelmäßigen Abständen um die Ohren fliegen. Als die Wikinger die Gegend im 9. Jahrhundert besiedelten, waren sie clever genug, ihre Hauptstadt möglichst weit weg von all den jähzornigen Feuerbergen zu gründen. Bis hinüber nach Reykjavík können selbst die mächtigsten Vulkane nicht spucken, und weil dort weit über ein Drittel aller Isländer zuhause ist, befindet sich das halbe Land gewissermaßen automatisch in Sicherheit. Die restlichen 200.000 Einwohner verteilen sich auf 103.000 Kilometer – wenn man diese Bevölkerungsdichte auf Manhattan umlegen würde, lebten dort 224 Leute statt 1,7 Millionen.
Ist also ganz schön viel Platz hier, da kann man den Vulkanen locker aus dem Weg gehen. Wenn man will. Die Isländer wollen aber nicht immer. Beim letzten Ausbruch der Hekla pilgerten sie in Autokolonnen an die Flanken des Vulkans, zum Lavagucken. Dummerweise begann es ausgerechnet da heftig zu schneien, die Straßen waren schnell unpassierbar, und so saßen ein paar Tausend Isländer zwischen immer näher kommender Lava und sich immer höher türmenden Schneebergen in der Falle, und nur die größte Rettungsaktion in der Geschichte des Landes verhinderte das Schlimmste. So viel zum Thema „Wie lebt es sich auf dieser explosiven Insel?“ So viel zum Thema isländische Gelassenheit.[/vc_column_text][vc_empty_space][/vc_column][vc_column width=“1/2″][vc_single_image image=“5270″ img_size=“full“ add_caption=“yes“ onclick=“link_image“][vc_empty_space][vc_single_image image=“5262″ img_size=“full“ add_caption=“yes“ onclick=“link_image“][vc_empty_space][vc_single_image image=“5263″ img_size=“full“ add_caption=“yes“ onclick=“link_image“][vc_empty_space][/vc_column][/vc_row][vc_row][vc_column][vc_single_image image=“5257″ img_size=“full“ add_caption=“yes“][vc_empty_space][/vc_column][/vc_row][vc_row][vc_column][vc_column_text]Vielleicht wird man ja so, wenn man hier draußen zuhause ist. Wenn man eine Weltkarte auseinander faltet (oder, macht man ja heute eher: Island auf Google Earth sucht), dann bekommt man schon eine Vorstellung von der Isolation der Insel. Und auch ein wenig davon, wie es sich anfühlt, auf ihr unterwegs zu sein. Und selbst wenn man den Gedanken daran, dass man sich hier draußen tatsächlich am Ende der Welt befindet – selbst wenn man den komplett verdrängen könnte, würde dieses Land einem doch immer und überall signalisieren, dass dies so ist.[/vc_column_text][/vc_column][/vc_row][vc_row][vc_column width=“1/2″][vc_column_text]Island bedeutet Eisland, mehr als die Hälfte des Jahres verharrt die Insel unter einer Decke aus Weiß. Auch bei Eis und Schnee und schlechtem Wetter ist die Region überwältigend – erwischt man aber eine Schönwetterphase, punktet sie gegen jedes andere Land auf dem Planeten. An solchen Tagen hat man hier das Gefühl, mitten in einer Postkarte unterwegs zu sein. Und wenn man sich nicht ab und zu klar macht, dass die Schluchten und Ebenen und Gletscher, die rollenden Hügel und die allgegenwärtigen Pferde und die fauchenden Geysire (in deren Nähe es klingt, als werde ein mittelschwerer Hurrikan im Erdinnern gefangen gehalten) – dass die alle real sind: Dann könnte man schon mal glauben, man sei mitten in einem Fantasyspiel der Playstation unterwegs. Und übrigens auch, dass in dem Fels da oben über Gunnar Johannsons Hotel tatsächlich Elfen wohnen. Und dass es eine ziemlich gute Idee war von den Straßenplanern, diesen kleinen Schlenker eingebaut zu haben.[/vc_column_text][/vc_column][vc_column width=“1/2″][vc_single_image image=“5252″ img_size=“full“ add_caption=“yes“ onclick=“link_image“][/vc_column][/vc_row]