Kleine Kutter in schmalen Sielhäfen, Schafe auf grasgrünen Deichen, gleich nebenan wartet der nächste Strand, und außerdem verwöhnen gemütliche Restaurants und Kneipen mit der kräftigen Küche der Küste – Urlaub in Ostfriesland ist ein Fall für stille Genießer.
Text: Thomas Zwicker
Fotos: Silke Tokarski

Die höchste Erhebung Ostfrieslands misst rund 25 Meter

Der kleine Krabbenkutterhafen von Carolinensiel döst unter der milden Sonne des Nordens, Leinen schlagen an Masten, Museumsschiffe schubbern am Kai. Die Cafés ringsum in oft denkmalgeschützten Häusern bieten zum Pharisäer (Kaffee mit Rum) den besten Blick auf das geruhsame Bild.

Das alte Hafenbecken liegt weit im Land, über die zwei Kilometer lange Harle-Prommenade spaziert man zum neuen Harlesieler Außenhafen am Meer, von wo aus die Fährschiffe nach Wangerooge ablegen. Direkt an der Mole, oben auf der Deichkrone, sitzen abends Urlauber auf Bänken und Campingstühlen und genießen den Sonnenuntergang.

In Ostfriesland ist so einiges ganz anders ist als im Rest der Republik. Auf der pfannkuchenflachen Halbinsel zwischen Wilhelmshaven und Emden (die höchste Erhebung misst knapp 25 Meter) gibt es wenig Hektik und Stress, dafür urige Orte und Städtchen, weite Felder und Wiesen, Windmühlen und endlos lange Deiche. Und einen schönen Fischerhafen nach dem anderen.

Zweimal innerhalb von 24 Stunden herrscht an der Küste Ebbe

Da stehen wir nun auf dem grünen Deich direkt am Meer – und das Meer ist nicht da. Zweimal innerhalb von 24 Stunden zieht sich die Nordsee diskret zurück, um bis zu vier Meter sinkt und steigt der Wasserspiegel bei Ebbe und Flut, als Folge der Anziehungskräfte von Erde, Mond und Sonne sowie der Flieh- und der Trägheitskraft. Was zur Folge hat, dass wir bei Ebbe wunderbar im Watt waten können, die Füße werden dabei von Schlick und Algen massiert und manchmal auch von kleinem Meeresgetier gepiekst. Das ist eine sehr friedliche Sache und man kann sich kaum vorstellen, dass die See zur Zeit der Herbst- und Winterstürme zerstörerische Kräfte entwickeln kann – ohne die knapp neun Meter hohen Deiche wäre in Ostfriesland schon lange Land unter.

Das Meer prägt die gesamte Ostfriesische Küste. Angefangen bei Wilhelmshaven, größte Stadt mit rund 100.000 Einwohnern, die vor rund 150 Jahren schachbrettartig als Marinestützpunkt angelegt wurde. Marine prägt bis heute das Stadtbild, dazu kommt der neue JadeWeserPort für Containerschiffe, und man setzt verstärkt auf Tourismus. Oben vom Fliegerdeich geht der Blick weit über die Meeresbucht namens Jadebusen, Strandkörbe sind auf grüne Deichwiesen getupft, und nahebei locken Attraktionen wie Marinemuseum und Aquarium-Erlebniswelt – damit ist Wilhelmshaven ein guter Stopp-over auch bei norddeutschem Nieselwetter. Nebenan lohnen der Ort Jever mit schöner Altstadt und Traditions-Bierbrauerei oder das barocke Wasserschloss Gödens einen Besuch, das inmitten eines großen Parks zu den Prunkbauten Frieslands zählt.

Ein weiteres Highlight der Küste ist Neuharlingersiel, hier ankern die Krabbenkutter noch direkt im engen, idyllischen Sielhafen. Das fangfrische Meeresgetier wird direkt von Bord verkauft. Nebenan liegt der lange, wie meist an der Festlandküste künstlich aufgeschüttete Sandstrand – noch schöner badet man nur auf den vorgelagerten Inseln, die sich hervorragend für einen Tagesausflug eignen. Über Orte wie Esens mit Bernstein-Schmiede, Norden samt seiner historischen Bauten und Museen sowie den schönen Fischerort Greetsiel landen wir schließlich in Emden. Die zweitgrößte Stadt der Region (rund 52.000 Einwohner) bietet Seehafen, Universität, Kunsthalle – und Otto Waalkes, der als Schauspieler, Sänger und Komiker Weltruhm erlangte. „Ich bin stolz auf mein Ostfriesland“, hat er einmal gesagt, und das war überhaupt nicht als Witz gemeint.

Die schmale Landstraße, die von Emden wieder in Richtung Osten führt, ist plötzlich versperrt. Ein paar kräftige Kerle stehen mitten auf dem Asphalt, einer lässt gerade eine schwere Gummikugel die Piste entlang jagen. „Achtung Boßelspiele“ hatte uns eine Kurve zuvor ein Verkehrsschild gewarnt, der Gasfuß wurde also zur Vorsicht schon mal gelupft. Von der angrenzenden Weide schauen ein paar Schafe gespannt zu, wie Ostfrieslands Spitzensportler dem hiesigen Nationalspaß frönen. „Lat hüm susen“, ruft einer und die Kugel saust wieder los. Wir halten zur Vorsicht an.

Beim Boßeln (gesprochen mit langem ooh) geht es darum, das schwere Geschoss mit möglichst wenigen Würfen über eine bestimmte Distanz rollen zu lassen. Es gibt hunderte Vereine, die „Ostfrisia“ heißen oder „Fresenmout“, Meisterschaften austragen und dann als Sieger am Montag groß in der Zeitung stehen. „He löpt noch“, sie rollt noch, warnt uns ein Spieler, als wir vorsichtig der Kugel hinterher fahren. Dann wird freundlich gewinkt – Urlauber sind gerne gesehen in dieser eigenwilligen Region.

Drei Tipps für Ostfriesland

Wie ihr am bequemsten die frische Nordseeluft genießt, wo Meeresfrüchte am frischesten sind und warum ihr in Ostfriesland auch ruhig mal in Kultur machen solltet:

1. Krabben direkt am Kutter kaufen

Hafen von Greetsiel

Sie sind klein, schmecken ein bisschen nussig und werden am besten direkt vom Kutter gekauft: die Nordseekrabben, von den Friesen Granat genannt. Während der Fangfahrt werden sie noch an Bord in Salzwasser gekocht, wobei sie ihre rote Farbe annehmen. Wenn Sie an der Mole von Neuharlingersiel, Greetsiel und Co die ungepulten Leckerbissen (600 g um 4 Euro) direkt zum Verzehr kaufen, winkt nicht nur ein Gaumenschmaus, Sie tun auch noch was für die Umwelt. Ein großer Teil des Krabbenfangs wird nämlich tiefgekühlt per Lkw quer durch Europa gekarrt, um dann in Marokko gepult zu werden. Dank billiger Arbeitskraft dort gilt das als lohnende Sache, die Ökobilanz freilich ist verheerend. Wer die kleinen Leckerbissen also gleich am Kai der kleinen Häfen Ostfrieslands kauft, verschafft sich damit nicht nur Genuss, sondern auch noch ein gutes Gewissen.

2. Einen Strandkorb mieten

Strand mit Strandkörben in Neuharlingersiel in Ostfriesland

Sie sind Windschutz, Schattenspender und schützen sogar bei kleinen Regenschauern: Strandkörbe sind an unseren Meeresküsten nicht wegzudenken. Was 1882 vom Hofkorbmacher Wilhelm Bartelmann in Warnemünde erfunden wurde, gilt heute an Nord- und Ostsee als unverzichtbar. Längst wurden die Materialien haltbarer, die Stoffe wetterfest. Gut 70.000 Körbe warten in der Saison auf Mieter, für Tagespreise ab 7 Euro zu haben und an vielen Orten sogar vorab online zu buchen – die Nachfrage ist groß.

3. Die Kunsthalle Emden besuchen

Kunsthalle Emden Außenansicht

Die wohl wichtigste Kulturstätte Ostfrieslands liegt in Emden: 1986 baute „Stern“-Gründer Henri Nannen seiner Heimatstadt ein Haus für seine Sammlung der Kunst des 20. Jahrhunderts. Der deutsche Expressionismus und die Malerei der Neuen Sachlichkeit sind ein Herzstück der Anlage, neben Werken aus dem Kreis des „Blauen Reiters“ (z. B. August Macke), der „Brücke“-Künstler (Emil Nolde) und der „Neuen Wilden“ lockt auch eine Auswahl russischer Kunst der Glasnost-Zeit. Später kam eine Schenkung des Münchner Galeristen Otto van de Loo hinzu, und das Museum wurde erweitert. Es gibt zudem Malschule, Gastronomie und einen Shop. Täglich außer montags geöffnet, Eintritt 10 Euro, Kinder und Jugendliche bis 17 Jahre kostenlos.
www.kunsthalle-emden.de